Suppenwärme

SB 2023

Die kleinen Alltagsmomente entgleiten ihm, er erinnert sich nicht mehr an den Morgen, erinnert sich nicht mehr an den Einkauf, den er gerade mit seiner Frau erledigt hat. Er erinnert sich nicht mehr daran, dass er gerade Kaffee und Kuchen für sie beide gekauft hat, aber der Kaffee ist da, der Teller mit den Kuchenkrümeln ist da, sie ist da.

Das ist gut, denn an sie erinnert er sich noch, an ihre erste Begegnung, an den ersten Kuss. Sie hatten im Regen getanzt und er hatte die ganze Nacht wach gelegen und sie verwundert angesehen.

Er braucht nicht erklären, sie versteht. Erzählt ihm, was sie am Morgen auf dem Markt gekauft haben und dass sie eine schöne warme Suppe daraus kochen wird, weil eine warme Suppe jetzt wo es kälter wird, immer gut tut. Der Sohn wird kommen, der hat immer großen Hunger und heute ist Montag, es ist schon kalt und die Uhren sind schon umgestellt, bald wird der Winter da sein.

Er erinnert sich nicht, die Suppe schon einmal gegessen zu haben, aber dass warme Suppe gut tun wird, das kann er spüren; er erinnert sich auch, dass sein Sohn immer Hunger hat, er war schon hungrig, als er auf die Welt kam, und für einen Moment versteht er auch, warum die Uhren verstellt sind, ein Wimpernschlag, bevor es ihm wieder entgleitet. Ob sein Sohn heute kommt? Das wäre schön. Haben sie auch genug zu Essen da?

Ja, sagt seine Frau, wir haben heute alles was wir brauchen und komm, wir gehen nach Hause, ich koche uns eine schöne warme Suppe, die essen immer alle so gerne und die tut so gut, jetzt, wo es kälter wird.

Zärtlich schaut er sie an, er reicht ihr seinen Arm, und in diesem Augenblick ist sie wieder 20 und er fragt sich, ob sie wohl ein Leben lang Seite an Seite gehen werden.

Und dann gehen sie, der Sohn kommt, sagt sie, und er erinnert sich, dass er immer Hunger hat, und es ist ein guter Tag, weil er sich erinnern kann und er die Frau an seiner Seite liebt und vielleicht wird sie ein Leben lang an seiner Seite bleiben.